Art. 103m EGInsO: Der Gesetzgeber sorgt seit dem 18.08.2021 für vollen Durchblick bei der Geschäftsführerhaftung

Seit dem 18.8.2021 steht fest, dass für die „verbotenen Zahlungen“, die GmbH-Geschäftsführer aus dem Gesellschaftsvermögen im Zustand der Insolvenzreife der Gesellschaft vornehmen, die im Gesetz bereits gestrichene Regelung des § 64 GmbHG weiter angewendet werden kann, wenn nämlich die Zahlungen vor dem 01.01.2021 ausgelöst worden sind. Für alle Zahlungen ab dem 01.01.2021 gilt dagegen der neue § 15b InsO.

Für diese neue Klarheit sorgt eine Änderung des Art. 103m EGInsO, die zum 18.08.2021 in Kraft getreten ist.

Wie ist es dazu gekommen?

Klarheit bei der Hfatung des GmbH-Geschäftsführers

Seit dem 18.08.2021 sorgt der Gesetzgeber für vollen Durchblick bei der Haftung des GmbH-Geschäftsführers.

Vorbemerkung

Zum 01.01.2021 wurde die Regelung des § 64 GmbHG gestrichen und durch § 15b InsO ersetzt. In § 15b InsO befinden sich seitdem die zuvor in verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Normtexten verteilten Regelungen zu Zahlungsverboten bei haftungsbeschränkten Rechtsträgern im Zustand der Insolvenzreife. Während Einigkeit darüber besteht, dass jedenfalls für die nach Eintritt der Insolvenzreife vorgenommenen Zahlungen, die ab dem 01.01.2021 stattfinden, der neue § 15b InsO einschlägig ist, war unter Experten von Anfang an umstritten, wie eigentlich mit den „Altfällen“ zu verfahren ist, also mit solchen „verbotenen Zahlungen“, die bereits im Jahr 2020 oder früher vorgenommen worden sind. Noch komplizierter wird das Thema dadurch, dass mache Stimmen nicht entscheidend auf den Zeitpunkt der jeweils zu beurteilenden Zahlung, sondern auf den Zeitpunkt des Zugangs des Insolvenzantrages beim Insolvenzgericht abstellen wollen. Auf diese Weise soll eine einheitliche rechtliche Behandlung aller verbotenen Zahlungen einer konkreten haftungsbeschränkten Gesellschaft in einem späteren Insolvenzverfahren erreicht werden; sie unterfallen nach diesem Konzept dann unabhängig vom Zeitpunkt der Vornahme insgesamt entweder § 64 GmbHG oder § 15b InsO.

Insbesondere wegen dieser vom Gesetzgeber vorgenommenen inhaltlichen Änderungen ist es also für Insolvenzrechtler und Gesellschaftsrechtler wichtig, genau zu wissen, welche Regelungen in Altfällen einschlägig sind.

Seit Inkrafttreten des neuen § 15b InsO haben Experten darüber gestritten, welche Normen in Altfällen anwendbar sind.

Weitergeltung des § 64 GmbHG für Altfälle?

Eine Auffassung stützt sich auf den Wortlaut des Art. 103m EGInsO. Hier ist geregelt, dass auf solche Insolvenzverfahren, die vor dem 01.01.2021 beantragt worden sind, die bis dahin geltenden Vorschriften weiter anzuwenden sind. Mit dieser Norm argumentierte beispielsweise das LG Aachen in einer Entscheidung vom 14.04.2021 und wendete § 64 GmbHG auf einen Altfall an.

Zu dem gleichen Ergebnis ist auch der BGH gelangt, der ebenfalls § 64 GmbHG für einen Altsachverhalt heranzog, allerdings nicht durch Verweis auf Art. 103m EGInsO, sondern ohne Nennung einer konkreten Begründung. In dieser Entscheidung hält der BGH den § 64 GmbHG in Altfällen offenbar selbstverständlich für anwendbar, ohne auf die abweichenden Auffassungen auch nur einzugehen. In diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist, dass der BGH eine ähnlich unklare Überleitungssituation an der Schnittstelle zwischen Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht im Jahr 2008 im Wesentlichen über die allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts gelöst hat. Nach diesen Grundsätzen soll die entfallene Norm trotz Fehlens einer entsprechenden Überleitungsregelung in Altfällen weitergelten. Es darf also vermutet werden, dass der BGH auch in seiner oben genannten Entscheidung zur weiteren Anwendung des § 64 GmbHG die Regeln des intertemporalen Rechts zumindest gedanklich berücksichtigt hat. Ausdrücklich für die Heranziehung der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts und damit für eine Fortgeltung des § 64 GmbHG spricht sich auch eine beachtliche Literaturstimme aus und zwar selbst für solche Fälle, in denen ein Insolvenzantrag erst nach dem 01.01.2021 gestellt wurde, die „verbotenen Zahlungen“ allerdings noch 2020 oder davor stattgefunden haben. Ähnlich argumentieren auch diejenigen Stimmen in der Literatur, die die Neuregelung des § 15b InsO so verstehen, dass mangels Rückwirkungsanordnung die Aufhebung des § 64 GmbHG nur für die Zukunft gelten kann und einmal entstandene Ansprüche deshalb unberührt lassen muss.

Oder Heranziehung des § 15b InsO in Altfällen?

Demgegenüber gibt es durchaus beachtliche Stimmen in der Literatur, die die Auffassung vertreten, nach Streichung des § 64 GmbHG könne die Norm überhaupt keine Anwendung mehr finden, eben weil sie ja gar nicht mehr im Gesetz steht. Aufgrund der Streichung könne auch eine analoge Anwendung nicht mehr in Betracht kommen. Um Gesetzeslücken zu verhindern halten manche deshalb eine dem Strafrecht vergleichbare Lösung der Gesamtthematik für konsequent und argumentieren, die aus § 15b InsO ersichtlichen Erleichterungen für den Geschäftsführer seien Ausdruck eines generell gewandelten Unwerturteils, das dazu führe, dass § 15b InsO auch – wie im Strafrecht üblich – für Altsachverhalte angewendet werden müsse. Ähnlich äußert sich eine weitere beachtliche Literaturstimme, die argumentiert, auch im Haftungsrecht für insolvenzrechtliche Zahlungsverbote sei das aus dem Strafrecht bekannte Meistbegünstigungsprinzip heranzuziehen und eine Rückwirkung des milderen neuen Rechts vorzunehmen. Diese Meinung will also ebenfalls den § 15b InsO rückwirkend auch für Altsachverhalte anwenden.

Reaktion des Gesetzgebers sorgt für Rechtsklarheit

Die in § 64 GmbHG bzw. § 15b InsO geregelten Zahlungsverbote sind zentrale Vorschriften für die Massegenerierung in Insolvenzverfahren, für die Sanierung von Unternehmen und für das Handeln von vielen tausend GmbH-Geschäftsführern in Deutschland. Unsicherheiten in diesem Bereich, die ggf. sogar verfassungsrechtlicher Natur sein könnten, sind für alle Akteure schlicht unzumutbar. Das hat offenbar auch der Gesetzgeber erkannt. Denn er hat in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 24.06.2021 (zusammen mit der Reform des Personengesellschaftsrechts) das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung geändert. Beschlossen wurde, dass dem Art. 103m EGInsO folgende Sätze 2 und 3 angefügt werden:

 

15b der Insolvenzordnung in der Fassung des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl I S. 3256) ist erstmals auf Zahlungen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2020 vorgenommen worden sind. Auf Zahlungen, die vor dem 01. Januar 2021 vorgenommen worden sind, sind die bis zum 31. Dezember 2020 geltenden gesetzlichen Vorschriften weiterhin anzuwenden.

 

In dem dazugehörigen Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 23.06.2021 wurde diese beabsichtigte Änderung begründet und darauf hingewiesen, dass durch die Zusammenführung der § 64 GmbHG, §§ 130a und 177a HGB, § 92 Abs. 2 AktG sowie § 99 GenG durch das SanInsFoG im neuen § 15b InsO mit Wirkung zum 01.01.2021 nicht etwa die Ersatzpflicht für vor dem 01.01.2021 geleistete Zahlungen weggefallen ist, sondern diese weiterhin besteht und sich nach den bisherigen Vorschriften richtet. Dabei führte der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ausdrücklich aus, dass es sich bei der Änderung des Art. 103m EGInsO lediglich um eine „Klarstellung“ handeln soll.

Auch wenn die Rechtslage bisher offenbar alles andere als „klar“ gewesen ist, dürfte es dem Praktiker im Ergebnis egal sein, ob die Änderung des Art. 103m EGInsO tatsächlich lediglich deklaratorische oder ggf. doch konstitutive Wirkung hat. Viel bedeutsamer ist, dass der Gesetzgeber auf eine unsichere Situation reagiert hat und diese beendet hat. Da Rechtsakte mit einer deklaratorischen Wirkung an der bestehenden Rechtslage nichts ändern, sondern diese lediglich klarstellen, hat die Einordnung durch den Gesetzgeber als „Klarstellung“ aber durchaus weitergehende Bedeutung: es ergibt sich daraus, dass der neue Art. 103m EGInsO auch rückwirkend verstanden werden muss und eben nicht eine bestehende Rechtslage erst im Laufe des Jahres 2021 ändern möchte.

Zum weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ist noch darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat ebenfalls keine Einwendungen erhoben hat und zu dem als Einspruchsgesetz zu behandelnden Gesetzentwurf keinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses gestellt hat. Deshalb darf zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags mit einer baldigen Verkündung durch Ausgabe im Bundesgesetzblatt gerechnet werden. Das Inkrafttreten ist für den Tag nach Verkündung vorgesehen.

Fazit

Die rasche Reaktion auf den unsicheren Rechtsrahmen ist zu begrüßen. Weil es sich nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Änderung des Art. 103m EGInsO um eine „Klarstellung“ handeln soll, wird der Praktiker sie wohl unabhängig vom Zeitpunkt des Inkrafttretens ab sofort zu beachten haben.

In einem zentralen insolvenzrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Bereich wurde Rechtsklarheit geschaffen: Alle „verbotenen Zahlungen“, die bis einschließlich 31.12.2020 vorgenommen worden sind, sind nach dem alten § 64 GmbHG zu beurteilen, während sich sämtliche Zahlungen ab dem 01.01.2021 nach den neuen Regelungen des § 15b InsO zu richten haben. Auf den Zeitpunkt der Antragstellung oder auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung kommt es dabei nicht an; die Trennlinie läuft klar über den Jahreswechsel. Dies hat selbstverständlich die Konsequenz, dass es einen „Rechtsbruch“ zum Jahreswechsel gibt: Bei solchen Insolvenzverfahren, die im Jahre 2021 beantragt und eröffnet worden sind, bei denen allerdings die „verbotenen Zahlungen“ teilweise aus 2020 (oder früher) und teilweise aus 2021 stammen, sind die beiden Haftungsnormen nebeneinander anzuwenden. Für alle Zahlungen, die bis zum Jahreswechsel stattgefunden haben, gilt § 64 GmbHG und für alle späteren Zahlungen gilt § 15b InsO.