Mit seiner aktuellen Entscheidung vom 31.10.2019 (IX ZR 170/18) hat der Bundesgerichtshof weiter Klarheit im Bereich der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO geschaffen.
Zum Sachverhalt
In dem dortigen Fall machte der klagende Insolvenzverwalter Anfechtungsansprüche gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse geltend, bei der Mitarbeiter der später insolventen GmbH beschäftigt waren. Es kam bereits zwei bis drei Jahre vor Insolvenzeröffnung immer wieder zu Beitragsrückständen und für einige Monatsbeiträge musste die beklagte Krankenkasse sogar das zuständige Hauptzollamt mit der Vollstreckung der Beiträge beauftragen (Anmerkung: In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hatte eine gesetzliche Krankenkasse vollstreckt, bei der es sich um eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts handelte, bei der sich also der Zuständigkeitsbereich über mehr als drei Bundesländer erstreckte, vgl. Artikel 87 Abs. 2 GG: Das ist der Fall bei ca. 80 Krankenkassen in Deutschland (u.a. die Techniker Krankenkasse, die BARMER, die DAK, die IKK Classic, die AOK Nordost, die IKK Südwest und schließlich auch bei allen neun Berufsgenossenschaften). Bundesunmittelbare Körperschaften des öffentliches Rechts führen ihre Vollstreckung über das Hauptzollamt durch, was sich aus § 66 Abs. 1 Satz 1 StGB X, § 4 Buchstabe b) VwVG, § 249 Satz 1 Satz 3 AO sowie § 1 Nr. 3 FVG ergibt.
Insgesamt ging es in dem Sachverhalt, der dem BGH zur Entscheidung vorlag, um die Insolvenzanfechtung von 33 Beitragszahlungen, die teilweise fast 3 Jahre vor Insolvenzeröffnung stattgefunden haben.
Zu dem Urteilsgründen
Der BHG hat teilweise auf seine bisherige Rechtsprechung verwiesen und teilweise neue Aussagen getätigt. Die wesentlichen Punkte – zusammengefasst – wie folgt:
- Es liegen Rechtshandlungen des Schuldners (der GmbH) vor, da der Schuldner selbst alle Zahlungen an die beklagten Krankenkassen vorgenommen hat.
- Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn die angefochtene Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt hat, wenn sich also die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten.
- Bevor ein Gericht den klagenden Insolvenzverwalter im Urteil als beweisfällig behandeln kann, muss es zuvor darauf hinweisen.
- Die subjektiven Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können meist nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden. Dabei dürfen die Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen nicht überspannt werden. Es reicht aus, wenn der Anfechtungsgegner im Allgemeinen von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gewusst hat; er braucht nicht die Rechtshandlung, die die Gläubigerbenachteiligung ausgelöst hat, in allen Einzelheiten kennen. Ausreichendes Indiz kann etwa eine dauerhaft schleppende Zahlungsweise sein, bei der Verbindlichkeiten des Schuldners ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen werden und dem Anfechtungsgegner den Umständen nach bewusst ist, dass es bei dem gewerblichen Schuldner noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt.
- Besonderes Gewicht für den Nachweis einer Zahlungseinstellung kommt dem Beweisanzeichen in Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund der damit verbundenen drohenden Strafbarkeit zu (§ 266 a StGB).
- Eine mehrmonatige – nicht notwendig 6monatige – Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen legt eine Zahlungseinstellung nahe. Das Gleiche gilt, wenn der Schuldner die Sozialversicherungsbeiträge fortlaufend mit einer Verzögerung von 2 bis 3 Monaten in einem Zeitraum von rund 11 Monaten leistet.
- Indizien für eine Zahlungseinstellung liegen auch vor, wenn der Sozialversicherungsträger Beitragszahlungen des Schuldners nur unter Anwendung von Vollstreckungsdruck erwirken kann.
- Bei der Vollstreckung über das Hauptzollamt sind dem Schuldner die Kenntnisse des Hauptzollamtes über die von weiteren Einzugsstellen der Krankenkassen wegen Beitragsrückständen gegen den Schuldner betriebenen Vollstreckungsverfahren entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen (!). Denn aus dem gem. § 5 Abs. 1 VwVG anzuwendenden § 252 AO folgt eine gesetzliche Fiktion, nach der Gläubiger des zu vollstreckenden Anspruchs die Vollstreckungsbehörde wird, die mit der Vollstreckung beauftragt ist. Eine Wissenszurechnung findet auch statt, soweit es um das Wissen des Hauptzollamtes geht, wonach der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zahlte. Dabei reicht es aus, wenn der klagende Insolvenzverwalter darlegt, dass auch andere Einzugsstellen das Hauptzollamt beauftragt haben und dass der Schuldner dann zur Abwendung der Zwangsvollstreckung auch diesbezüglich gezahlt hat.
- Es kommt nicht darauf an, ob der Schuldner zu einem späteren Zeitpunkt die Krankenversicherungsbeiträge pünktlich bei Fälligkeit entrichtet hat; eine einmal festgestellte Zahlungsunfähigkeit entfällt nur dann wieder, wenn der Schuldner seine Zahlungen allgemein – nicht nur dem Anfechtungsgegner gegenüber – wieder aufgenommen hat. Und diese Wideraufnahme der Zahlungen gegenüber allen Gläubigern hat der Anfechtungsgegner als derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich darauf beruft.
Insgesamt hat der Bundesgerichtshof mit dieser Entscheidung noch einmal auf die grundlegenden Linien einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO gegenüber gesetzlichen Krankenkassen hingewiesen. Wichtig ist, dass Insolvenzverwalter wissen, dass eine Wissenszurechnung stattfindet, nachdem das Hauptzollamt mit einer Vollstreckung beauftragt wird und zwar im Hinblick auf sämtliche Vollstreckungsaktivitäten des Hauptzollamtes für andere Einzugsstellen der gesetzlichen Krankenkassen, selbst wenn die Anfechtungsgegnerin – wie zumeist – das tatsächliche Zahlungsverhalten der schuldnerischen GmbH gegenüber anderen Krankenkassen überhaupt nicht kennt. Dabei reicht es aus, sich auf Aufstellungen zu beziehen, die der Insolvenzverwalter nach dem IFG-Bund von dem Hauptzollamt erhalten hat (auch für alle 43 Hauptzollämter in Deutschland ist das IFG-Bund einschlägig). Nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es aber auch ausreichend, wenn der Insolvenzverwalter die Buchhaltung des Schuldners auswertet und wenn ihm dabei auffällt, dass weitere Zahlungen an das Hauptzollamt stattgefunden haben, die sich auf Beitragspflichten gegenüber Einzugsstellen der gesetzlichen Krankenkassen beziehen. Als Zeuge kann der Insolvenzverwalter sich auf diejenigen Personen berufen, die die Auswertung der Buchhaltungsunterlagen der schuldnerischen GmbH vorgenommen haben sowie auch auf den Geschäftsführer des schuldnerischen Unternehmens.